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16.06.2021

Lehrbuch 1 zum EUGH ./. BVerG: Wer hat das letzte Wort in Europa?

Mit dem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland, das die EU-Kommission eröffnet hat, eskaliert der Streit zwischen dem Europäischem Gerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht. Steht der EUGH über dem BVerfG?

 

Autor: JVP | Werner Schaller

Das Bundesverfassungsgericht hat nach Auffassung der EU-Kommission bei seinem Urteil zum Anleihenkaufprogramm der EZB einem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Rechtswirkung in Deutschland abgesprochen und somit gegen den Grundsatz des Vorrangs des EU-Rechts verstoßen. Weil Deutschland damit gegen die Grundprinzipien des EU-Rechts verstößt, hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet.

Worüber wurde vom BVerfG geurteilt?

Das Bundeverfassungsgericht urteilte über eines der Anleihekaufprogramme der Europäischen Zentralbank (EZB). Im Kern ging es um die Frage, ob die EZB sich in dem ihr durch die Europäischen Verträge zugestandenen Kompetenzrahmen bewegt, oder ob sie diesen in unzulässiger Weise durch den Kauf von Staatsanleihen überschritten hat. Konkret ging es in dem Urteil um das EZB-Programm PSPP (Public Sector Purchase Programme), in dessen Rahmen die EZB bis Ende 2018 bereits 2,6 Billionen Euro in die Finanzmärkte pumpte.

Wie lautet das Urteil?

Die Richter des BVerfG kamen zu dem Schluss, dass der Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB teilweise gegen das Grundgesetz verstoße.

Der Grund: Die Bundesregierung und Bundestag hätten die EZB-Beschlüsse nicht geprüft. Der Ankauf von Staatsanleihen durch die Notenbank hat einen Nebeneffekt: Weil alle Marktteilnehmer wissen, dass sie Staatsanleihen immer wieder an die EZB weiterverkaufen können, steigt die Nachfrage nach Staatsanleihen. Dies führt dazu, dass die Zinsen, die Staaten für neue Anleihen zahlen müssen, sinken.

Die EU ist dadurch zur Schulden- und Haftungsunion geworden.

Durch das Anleihenkaufprogramm finanziert die EZB die Staatsschulden einiger Länder, wie z.B. Italien. Jedoch verbietet der Vertrag von Maastricht die monetäre Haushaltsfinanzierung von Mitgliedstaaten durch die EZB, beispielsweise durch den Kauf von Schuldtiteln direkt bei den Staaten.

Die Europäische Union ist ein singuläres Gebilde. Nicht Bundesstaat, nicht Staatenbund, irgendwo dazwischen. Entsprechend umkämpft ist die Frage, wer wirklich das Sagen hat, das letzte Wort, wenn es um das Recht in Europa geht: Mit seiner Entscheidung zum Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) setzte es sich über einen Spruch des EuGH hinweg und stellte die Autorität der Luxemburger Richter erstmals offen in Frage. Es war eine Kampfansage.

 

Mehr als ein Jahr später hat die EU-Kommission den Fehdehandschuh aufgenommen. Sie leitet ein Verfahren gegen Deutschland wegen Verletzung von EU-Recht ein, weil Urteile des obersten EU-Gerichts für alle Staaten verbindlich seien.

Das Urteil des BVerfG hat weitreichende Wirkung.

Polnische Politiker berufen sich im Streit mit der EU auf das deutsche Urteil

Der Konflikt schwelt seit Langem. Schon 1974 hatte das BVerfG mit den Solange I und dem Solange II Urteilen erste Kriterien für einen Konflikt zwischen europäischem und deutschem Recht präsentiert. Vertragsverletzungsverfahren sein schärfstes Schwert, erstmals gezückt.

Für die Kommission stellt sich hier die Grundsatzfrage. Ein nationales Verfassungsgericht dürfe sich nicht die Rolle des obersten Schiedsrichters anmaßen. "Das letzte Wort zu EU-Recht wird immer in Luxemburg gesprochen. Nirgendwo sonst", hatte Kommissionschefin Ursula von der Leyen im Mai 2020 betont.

Ganz so einfach ist es nicht. Im Primärrecht steht er nirgends; in einer Erklärung zum Vertrag von Lissabon weisen die Mitgliedstaaten lediglich auf diesen Vorrang hin. Auch Karlsruhe bekennt sich dazu - solange die Kompetenzen nicht überschritten werden.

Das Urteil des BVerfG hat europaweit Folgen.

Polnische Politiker haben sich im Streit mit der EU über die Justizreform wiederholt auf das Karlsruher Urteil berufen. Soeben hat Brüssel die polnische Regierung aufgefordert, eine Vorlage vor ihrem Verfassungsgericht zurückzuziehen, in der sie den Vorrang des EU-Rechts infrage stellt. Am Donnerstag antwortete Premier Mateusz Morawiecki: "Die polnische Verfassung ist dem EU-Recht übergeordnet."

 

Die meisten Experten und Politiker begrüßen daher das Verfahren gegen Deutschland. Die Kommission, die in dieser Hinsicht bisher eher zögerlich gewesen sei, signalisiere Staaten wie Ungarn und Polen, dass sie das Nichtbefolgen eines EuGH-Urteils "nicht einfach akzeptiert".


  • Zuständiges Gericht: EuGH
  • Fundstelle: Pressestelle BVerfG
  • Zuständige Pressestelle: BVerfG

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